Chinakracher in der Neuköllner Oper: „Aufstand der Glückskekse“
War Offenbach visionärer, als wir dachten? In seiner ganz frühen, heute weitgehend vergessenen Operette „Ba-ta-clan“ (1855), einem schlanken 60-Minüter, sind der Kaiser von China und seine engsten Vertrauten eigentlich Franzosen, was sie aber gegenseitig nicht wissen. Verdingen sich hier Leiharbeiter in einem fremden Land, weil es zu Hause keine Jobs mehr gibt? Europa am Boden, China als Wirtschaftsriese? Klingt vertraut. Offenbach meinte das zwar als Parodie auf die Zustände im Dritten Kaiserreich und auf Meyerbeers Oper „Die Hugenotten“, aber Autor Kriss Rudolph liest in „Ba-ta-clan“ auch eine vergnügliche Parodie auf die Gegenwart. Zuletzt hat er an der Neuköllner Oper „Pariser Leben“ mit Haudraufhumor, aber witzig in „Berliner Leben“ umgearbeitet, jetzt ist er sichtlich auf den Geschmack gekommen und schiebt mit „Aufstand der Glückskekse“ gleich seine nächste Operettenbearbeitung nach.
Statt Franzosen schuften jetzt deutsche Gastarbeiter in einer Glückskekse-Fabrik (Regie: Gustav Rueb). Andrew Hannan hat Offenbachs Partitur für zweimanualige Orgel arrangiert, Nikolas Heiber ist der Arbeiter Ma, Alexandra Schmidt singt die Arbeiterin Li mit leuchtend weißem, Nini Stadlmann die Fabrikleiterin Ai mit flammend rötlichem Sopran. Dejan Brkic bringt als Vorarbeiter Hung – eine Figur, die sich an Mozarts Osmin orientiert – einen tollen schwarzgalligen Bass mit. Rudolphs neuer Text scheint zunächst arg im rassistischen Fahrwasser zu navigieren, die Sänger singen mit dümmlichen „Hatschi“-Silben und können kein „r“ sprechen. Später wird klar, dass Rudolph hauptsächlich deutsche Klischees über China ausstellt – und der bayrische Schuhplattler wird nebenbei gleich miterledigt. Zudem ist sein Text erfrischend kalauerangstfrei („Woher genau? – Oberammergau!“). Nix dagegen – die Operette als aussterbende Kunstform hat nur dann eine Chance, wenn sich eine neue Generation mit Leidenschaft und eigenem Blick für sie einsetzt. Udo Badelt