Drache frisst Rettungsschirm
Die Furcht vor der gelben Gefahr ist keine Erfindung unserer Tage. Jacques Offenbach thematisierte sie bereits 1855 in seinem Einakter "Ba-ta-clan". Diese "Chinoiserie Musicale" freilich ist nicht ängstlich, sondern vor allem verrückt-amüsant. Man lacht über das, was einen sorgt, und schon sieht die Sache anders aus. Für die Neuköllner Oper war das kleine Stück Vorlage, um daraus eine Version nach Art des Hauses zu basteln: Heutig, komisch, beschwingt. Das fängt an bei der aktualisierten Textfassung von Kriss Rudolph, der die Handlung ins Jahr 2030 verlegt, in dem China die europäischen Schulden bezahlt und damit Euroland aufgekauft hat.: Der Film "Rettungsschirm" wird in China zur erfolgreichsten Komödie denn je. Jetzt verdingen sich Europäer als Gastarbeiter im Reich der Mitte. Doch sie haben mit Integration nichts im Sinn.
Spass am Mumpitz
Die kleine Studiobühne ist bei der Uraufführung der Länge nach durch ein Fliessband geteilt, das in einen silbern-roten Drachenkopf führt. Li (Alexandra Schmidt) und Ma (Nicolas Heiber) verpacken auf den Knien Glückskekse für den Versand. Sie tragen blaue Anzüge am Leib und stille Verzweiflung im Gesicht. Als sie einen Streik anzetteln, stellt sich heraus, dass auch die grimmige Chefin Ai (Nini Stadlmann) und ihr betonköpfiger Vorarbeiter Hung (Dejan Brkic) keine Chinesen sind, sondern nur so tun. Doch die deutsche Herkunft des Quartetts überwindet die Gegensätze nicht und der Kampf zwischen Pflicht und Neigung, Heimweh und Fernweh wogt hin und her. Dazu haut Andrew Hannan, der die musikalische Leitung inne hat, ordentlich in die Tasten einer elektronischen Orgel aus den 70er-Jahren, die der bizarren Handlung eine adäquat schrullige Atmosphäre gibt. Mal wird ein revolutionäres Kampflied geschmettert, dass die Stromversorgung in der Fabrik zusammenbricht, mal ein Schuhplattler aufs Reismattenparkett gelegt. Was einem an Klischees vor Augen stehen kann, zeigt Gustav Rueb in seiner unbeschwerten Inszenierung mit humorvollem Elan - sei es das Gebot des permanenten Lächelns, die Dressur von Kindern zu Hochleistungen oder traditionelle Tanz- und Fechtrituale. Das ist umso lustiger, als ja gar keine Asiaten an diesem "Aufstand der Glückskekse" beteiligt sind. Das Ensemble hat offensichtlich viel Spaß an dem Mumpitz und bringt sogar das Publikum zum Fähnchenschwingen. Irene Bazinger