Cicero

Der Wink mit der Frühlingsrolle 

Trotz Sommerpause präsentiert die Neuköllner Oper das groteske Globalisierungs-Singspiel „Aufstand der Glückskekse“. Dezente Zwischentöne sucht man vergeblich, dafür bietet die adaptierte Offenbach-Operette amüsante Glückskecks-Philsophie.

Während die drei großen Berliner Opernhäuser ihre wohlverdiente Sommerpause nehmen, dreht die vom überregionalen Feuilleton oft übersehene „Neuköllner Oper“ auch im kulturschläfrigen Monat August so richtig auf. Jedenfalls habe ich mich gestern Abend in der Aufführung des grotesken Globalisierungs-Singspiels „Aufstand der Glückskekse“ prächtig amüsiert. 

Die Kulisse besteht aus nicht viel mehr als einem chinesischen Drachenkopf, aus dessen Maul ein Fließband ragt und der in seiner oberen Schädelpartie Platz bietet für das Ein-Mann-Orchester Andrew Hannans an seiner zweimanualigen Wersi-Orgel. Der Rest des Ensembles: vier Sänger mit viel Talent und ebenso viel Spaß an der Sache, der sich von der ersten Minute an auf die Zuschauer überträgt. Es braucht eben nicht immer großen Aufwand, um in diesem sonst eher personal- und materialintensiven Genre Funken zu schlagen. 

Der Autor Kriss Rudolph hat Jacques Offenbachs Einakt-Operette „Ba-ta-clan“ aus dem Jahr 1855 ohne große Berührungsängste umgeschrieben und aus einer Verwechslungskomödie um einen französischen Möchtegern-Kaiser im China des 19. Jahrhunderts ein Auswanderer-Drama mit umgekehrten Vorzeichen gemacht. Wir befinden uns also in nicht allzu ferner Zukunft in einer chinesischen Glückskeksfabrik, deren Produktion in geradezu unmenschlichem Tempo vom Fließband aus dem Drachenkopf rollt. 

Die Arbeiter Ma (Nikolas Heiber) und Li (Alexandra Schmidt) schuften sich krumm und buckelig, um das glücksverheißende Gebäck versandfertig für den internationalen Markt zu machen. Um ihre eigene Fortüne ist es eher schlecht bestellt. Zumal sie unter der Fuchtel einer erbarmungslosen Chefin namens Ai (Nini Stadlmann) und ihres eilfertigen Vorarbeiters Hung (Dejan Brkic) stehen. Irgendwann proben die geknechteten Arbeiter den Aufstand und streiken ganz altmodisch für die kühne Forderung nach fünf Tagen Urlaub im Jahr und der Rente mit 69. Mit Gewerkschaften ist es eben nicht mehr weit her in der Industriegesellschaft asiatischer Prägung. Natürlich kommt es im notorischen Ausländer-Kiez Neukölln einem Wink mit der Frühlingsrolle gleich, wenn die ausgebeuteten Arbeiter in Wahrheit Deutsche sind, die vor der wirtschaftlichen Post-EU-Misere ihres Heimatlandes ins prosperierende China geflüchtet sind und sich dort mit der Sprache schwertun: Ihr Gebrabbel im albernen Als-Ob-Chinesisch (Dalai Lama, Sching, schang, schung) ist dann aber schon wieder derart infantil, dass es als Klischee eines Klischees beinahe die philosophische Tiefe einer Glückskeks-Botschaft erreicht. 

Eine Stunde lang arbeitet sich diese Heimorgel-Offenbachiade an allem ab, was die landläufigen Vorurteile so zu bieten haben, und als die beiden unter Schwarzhaar-Perücken verkappten Wirtschaftsflüchtlinge ihre gemeinsame Herkunft entdecken, schwelgen sie in einem herzzerreißenden Duett in Erinnerungen an das ferne Deutschland: Bier, Haribo, Tatort, Bundestagswahl, auf „Freiheit der Presse“ reimt sich „Ostermesse“ ganz vorzüglich. Dezente Zwischentöne sollte niemand erwarten, aber als Globalisierungs-Burlesque in Hairspray-grellen Farben funktioniert der „Aufstand der Glückskekse“ hervorragend. Tatsächlich schwebt der Geist von John Landis mindestens genauso wirkmächtig über der Neuköllner Opernstudiobühne wie der von Jacques Offenbach. 

Man mag das gerne Kleinkunst nennen, aber es ist ein Vergnügen, wie sich die Macher der „Neuköllner Oper“ immer wieder der ganz großen politischen Gegenwartsthemen annehmen. Immerhin waren sie auch die ersten, die Deutschlands erster Bundeskanzlerin bereits im Jahr 2002 eine „Nationaloper“ unter dem Titel „Angela“ gewidmet haben. Wir freuen uns jedenfalls jetzt schon auf die musikalische Umsetzung der Abenteuer einer gewissen SPD-Troika oder auf ein Musical über den Niedergang der FDP. Bürger dieses Landes, schaut auf Neukölln! Alexander Marguier