Schattenspiel zerrissener Seelen
Premiere von „Deportation Cast“ im Theater im Fridericianum in Kassel
von Gesa Esterer
Die Schatten der Vergangenheit kleben fest an der Roma-Familie aus dem Kosovo, die wegen des Balkankriegs nach Deutschland flüchtete, nach jahrelanger Duldung in die Heimat abgeschoben wird, dort noch schwärzeren Schatten begegnet. Perspektivlosigkeit, Zerrissenheit, Verwundung, Schuld und Scham verdichten sich im Stück „Deportation Cast“ von Bjöm Bicker, das am Sonntag im Theater im Frideridanum (tif) Premiere hatte, zu einem Bild aus verschiedenen Blickwinkeln. Der 14-jährige Sohn Egzori (Philipp Reinhardt) hat die Sprache verloren. Niemand weiß, was den Jungen in dem brennenden Dorf traumatisierte. Seine 16-jährige Schwester Elvira (Michaela Klamminger) hatte sich in Deutschland in Bruno verliebt, fühlt sich in der neuen, alten Heimat fremd, will zur Schule gehen, spricht die Sprache nicht. Die Mutter (Christina Weiser) verzweifelt, der Sohn braucht Medikamente, die sie nicht bezahlen kann. Der Vater mit fettigem Langhaar (Aljoscha Langel) stöbert in Müllsäcken, trinkt. Arbeit gibt es nicht im rasanten Wechsel dreht die Inszenierung von Gustav Rueb zurück nach Deutschland, in die Welt der Ordnung, Besserwisserei, Phrasen, Rechtfertigung. Eben noch Tochter, ist Klamminger jetzt ehemalige Lehrerin und superschlau: „Nur der Bruder hat sich von der Abschiebung nicht erholt.“ Auf einer dritten Ebene glänzt die Schauspielerin als Sachbearbeiterin der Ausländerbehörde, redet wie auswendig gelernt über Ausreisehindernisse, den Anspruch auf unbegrenzten Aufenthalt, kundenorientiertes Arbeiten. Wunderbar ist Christina Weiser, die Roma-Mutter, auch in der Rolle der unbeteiligten Beobachterin am Flughafen, „die Polizisten haben Handschellen und alles dabei“. Aljoscha Langel spielt einen Anwalt, der alles über die „Abschiebetaktik“ weiß, zudem überzeugt er als Pilot, der regelmäßig nach Pristina fliegt, sich schuldig fühlt Reinhardt, Darsteller des sprachlosen Roma Jungen, spielt auch Bruno, den Sohn des Piloten und einstigen Freund von Elvira. Darüber hinaus verkörpert der 24-Jährige, der Star des Abends, den etwas rotzigen Arzt, der die Flüge mit Abgeschobenen begleitet. Das Hin und Her des 2012 mit dem Deutschen Jugendtheaterpreis ausgezeichnete Stücks ist verzwickt, anstrengend, fügt die Bausteine des Familiendramas wie ein Kaleidoskop zusammen. Gleichzeitig zeigt es die Seelenqual der Betroffenen und endet mit eine Katastrophe. Die Schatten der Flucht, anfangs mit einem grandioser Bühnenbild inszeniert, holen die Menschen ein. Eine ernste überaus eindringliche Inszenierung. Viele Vorhänge.