kultiversum

Sebastian Blottner

Nicht Wald, sondern Großstadt: Die Neuköllner Oper bedient sich für «Der Freischuss» bei Carl Maria von Weber und verlegt dessen «Freischütz» in die rauhen Verhältnisse eines Berliner Problemkiezes.

Beschreibung:

«Blind herrscht das Schicksal. Kein Gott lebt» - hat sich denn gar nichts geändert, seit Carl Maria von Weber seinen «Freischütz» komponierte? Weniger als man denkt jedenfalls, so will es das am 20. Januar in Berlin uraufgeführte Stück «Der Freischuss» in der Inszenierung von Gustav Rueb vor Augen führen. Es verlegt die Handlung von Webers Wolfsschlucht in die Großstadtschluchten Berlins.

Auf einem U-Bahnsteig schlägt die Liebe zu: Max, ein junger Mann aus Neukölln trifft Linn, ein Mädchen aus Mitte, die auf dem Weg in die Oper versehentlich zu früh ausgestiegen ist. Ein klassischer Plot, zwei Welten prallen aufeinander. Doch die beiden halten trotz ihrer Unterschiede zusammen. Max will tun, was richtig ist, beginnt eine Ausbildung bei der Polizei, versucht sich von seiner unrühmlichen Vergangenheit und seinen alten Freunden zu lösen. Doch kurz vor der Hochzeit erkennt er, dass er das, was er schützen will, bekämpfen muss. Denn er entdeckt in Linns spendablem Vater einen der Übeltäter, die man, anders als in seinem heimatlichen Neukölln, nicht sofort erkennt, weil sie viel zu gut eingekleidet sind.

Bewertung:

«Der Freischuss» ist ein eigenes «Stück Gegenwart», wie es im Programmheft heißt, trotz der unverkennbaren Parallelen zu Weber. Das Lied vom «Jungfernkranz», Prototyp eines Schlagers, der nach der Freischütz-Uraufführung in Berlin 1821 in allen Gassen gepfiffen wurde, wird zu Anfang noch gesungen; das Stimmtalent der Darsteller kommt in Arien wie «Schweig, damit dich niemand warnt» oder «Oh, diese Sonne» immer wieder zur Geltung. Doch furchtbar viel bleibt von der Vorlage letztlich nicht übrig, in dieser von einem fünfköpfigen Ensemble begleiteten Neukölln-Version.

Das muss es aber auch nicht. In Neukölln gibt es eben Straßen und keine Wolfsschluchten und anstatt des Waldes, ist die Großstadt heute Jagdrevier - in einem ganz anderen Sinne, als es sich das Personal des «Freischütz» hätte träumen lassen. Für die psychologische Komponente taugt Weber allemal noch, ansonsten siedeln Luise Rist (Text) und Jan Müller-Wieland (Musik) ihre Handlung aber gekonnt im Hier und Jetzt an. Mit diesem Ansatz wurde in der Neuköllner Oper schon so einiges auf die Bühne gebracht und diese Erfahrung zahlt sich aus. Eine Aufführung, die Ernst und Komik geschickt vereint.