Letzte intime Momente im schönen Schein
Von Markus Wilks
Aus. Aus und vorbei. Toscas letzter Vorhang ist gefallen, und damit auch ihr Leben. Die gefeierte Operndiva stürzt sich nach der Hinrichtung ihres Partners Cavaradossi von der Engelsburg in den Tod.
Gustav Rueb inszenierte in Oldenburg Puccinis cineastisch wirkende Oper als ein ebensolches, kontrastreiches Drama über Künstler, die sich in einer brutalen Welt mehr schlecht als recht behaupten. Mit der Halle 10 des Fliegerhorstes hat das Staatstheater eine im besten Sinne einmalige Ausweichspielstätte gefunden.
Leider, möchte man angesichts des üppig dimensionierten Orchesterklangs und der ungewöhnlich präsenten Sängerstimmen fast sagen, wird das Staatstheater seine „Wahlheimat“ nur ein Jahr lang bespielen, bevor es in das dann frisch renovierte Große Haus zurückgehen wird. Die ehemalige Wartungshalle für Militärflugzeuge bietet den Zuschauern Beinfreiheit wie dem Orchester Raum zur Entfaltung. Der musikalische Oberleiter Thomas Dorsch nutzte das Potenzial von Raum und Staatsorchester, indem er Klangfarben und Solostimmen fein abgestimmt und deutlich ausformen ließ. Bei einem ruhigen Grundtempo kamen neben den besser als üblich herauszuhörenden komischen Momenten die Scarpias Macht ausdrückenden Orchesterschläge besonders zur Geltung. Ein Hörgenuss für Liebhaber spätromantischer sinfonischer Musik.
Der große Raum der Halle 10 ist Regisseuren Herausforderung und Glücksfall zugleich, lässt doch der kalte Werkstattcharakter faszinierende Kontraste und doppeldeutige Arrangements zu. Im ersten Akt der „Tosca“ bieten Gustav Rueb, Florian Barth (Bühne) und Larissa Hartmann (Kostüme) klassische, historische Oper. Eine wohnzimmerartige Bühne mit Fototapete konzentriert die Blicke auf eine römische Kirche, das technische Umfeld wird fast ausgeblendet. In diesem Raum malt Cavaradossi ein fast zu weltliches Portrait, versteckt sich der politische Flüchtling Angelotti, trifft Tosca ihren Geliebten und zettelt Polizeichef Scarpia eine widerliche Intrige an. Tosca und Cavaradossi leben allzu naiv in einer Welt der schönen Künste, erst die Folterszene im zweiten Akt konfrontiert das Paar mit der Realität. Nun blickt man quasi hinter die Kulissen und erkennt in Scarpia einen Mafiaboss unserer Tage, der in einem schmucklosen Raum (eine Art Kantine hinter hölzernen Theaterkulissen) herrscht, erpresst und foltern lässt. Während dieser Akt Kennern des Werkes zum Widerspruch animieren mag, begeistert Rueb mit dem Schlussakt, in dem Cavaradossi vermeintlich zum Schein hingerichtet wird. Auf der kahlen, Verlorenheit perfekt ausdrückenden Bühne erlebt das Künstlerpaar letzte intime Momente und flüchtet immer wieder in den schönen Schein der Theaterwelt; die kleine Bühne des ersten Aktes steht hierzu seitlich am hinteren Hallenrand bereit. Wenn Tosca zur Hinrichtung gar tanzt und zum Selbstmord auf die grell beleuchtete Bühne flüchtet, stockt einem fast der Atem: Toscas Realitätsverlust wurde selten so bestechend inszeniert.
Nun besitzt das Oldenburgische Staatstheater in Irina Wischnizkaja eine Sängerin, die in solch tragischen Momenten besonders stark ist – man erinnere sich an ihre Butterfly oder Leonora. Stimmlich ist sie freilich keine Tosca. Obwohl sie alle Noten hat, klug gestaltet und in der Höhe sehr dramatisch werden kann, fehlen die weichen Farben und die lyrische Innigkeit, die die Partie ebenso auszeichnen. Auch Alexej Kosarev (Cavaradossi) lässt erfahrene Hörer nicht ganz glücklich werden, denn das flackernde Vibrato und der oft forcierte Stimmansatz werten seine schöne Tenorstimme ab. In einem gewöhnlichen Umfeld würde dieses Manko kaum auffallen, doch in dem Gastsänger Nico Wouterse hatte man einen Bariton der Spitzenklasse engagiert, der nicht nur mit maximalem Einsatz und einer besonders ausdrucksstarken Stimme brillierte, sondern auch äußerlich einen „Bilderbuch“-Scarpia gab. Andrey Valiguras (Angelotti), Michael Pegher (Spoletta) und die Chöre (Thomas Bönisch) sollen aus dem übrigen, überwiegend sehr gut besetzten Ensemble erwähnt werden. Das Publikum feierte ohne Einschränkungen die Protagonisten und sparte auch beim Regieteam nicht mit Beifall.