Gmündener Tagespost

Spielball der Geister, die er rief 

Dieser "Faust II" von Gustav Rueb ist so brüchig wie die Zeit. Deshalb kommt ihr diese Inszenierung sehr nahe. Wie der Regisseur dem als nahezu unspielbar geltenden Goethe-Stück zusammen mit einem vorzüglichen Ensemble und einem - hier sei's gesagt - kongenialen Bühnenbildner in einem konsequenten dramatischen Aufbau schlüssige Szenen abgerungen hat, verdient großen Respekt. Diesen hat auch das Publikum im licht besetzten Gmünder "Stadtgarten" dem LTT-Team mit seinem Beifall erwiesen. 

Schön klingt das, anrührend, wie das Gretchen am Ende nach Bach'schen Noten den toten Faust besingt - um dann diesen rätselvollen Schlusssatz in den dunklen Saal zu hauchen: "Das Ewigweibliche zieht uns hinan." Schwingt da Grund zur Hoffnung mit? Tatsächlich ist der Vorhang schon lange gefallen; die Mephistos dieser Welt haben ihr Werk bereits vollbracht. Der Landgewinn ist in trockenen Tüchern, und der Weltenbezwinger Doktor Faust gleich im Sarg. Er kann zu Erde werden. Als er zum Augenblicke sagte, er möge doch verweilen, hatte er schon verspielt, alles. 

Heuschreckenkumpel 

Edit Faludis glockenreine Singstimme macht die Schwärze dieser Inszenierung erst richtig spürbar. Der visionäre Globalplayer mit dem Hang zu schönen Frauen wird von den eigenen Heuschreckenkumpeln gefressen. Auf zwei Monitoren verschwinden die Bilder einer heilen Landschaft - Bildstörung. 

In Gunnar Kolbs massigem Leib scheint der kühne Schöpfergeist schon zusammengebrochen, als er sich mit Mephisto auf die Reise durch die Geschichte und Mythen aufmacht. Tanzen lassen will er die Puppen; doch unter der Oberfläche von Jux und Tollerei brütet der Ekel. Vor wem, vor was? Er meint zu bestimmen und wird doch zunehmend zum Spielball der Geister, die er rief - zu seinem eigenen Zauberlehrling. 

Für die ersten drei Akte hat Tilo Steffens eine Art gigantischen Rechner gebaut, der mit seinen Durchlässen und Fenstern auch als Palast taugen mag. Eine Versuchsanordnung mit einem mobilen Bühnenteil als Mittelpunkt, in der man sowohl der herrschenden Nomenklatura via Camcorder auf den Zahn fühlen kann und dem Kaiser geben, was der Kaiser will, als auch ein Retortenbaby generieren, den Homunculus. Katja Gaudard erfüllt dieses Kunstwesen, das aus der Maschine in die Welt plumpst, mit mörderischer Energie. 

Wahn und Verwirrung 

Die Geister, die ich rief - diese aktuelle Warnung zieht sich wie ein roter Faden durch die Inszenierung. Wahn und Verwirrung, Zerrbilder und Phantasmagorien - hier wird optisch an nichts gespart. 

Die Schauspieler schlüpfen in diverse Rollen und müssen sich noch schneller umziehen als Models für den Catwalk. Außer Gunnar Kolb bewähren sich in unterschiedlichsten Rollen Udo Rau, Martin Schultz-Coulon, Katja Gaudard, Karlheinz Schmitt, Ina Fritsche, Hubert Harzer, Hildegard Maier, Johannes Schön und Edit Faludi. 

Nach der Pause schlägt auf der fast leer geräumten Bühne die Stunde der Wahrheit. Nur das alte Paar (Philemon und Baucis) darf noch etwas Farbe und Freude zeigen, bevor es sich, weil dem Landprojekt im Wege, in Rauch auflöst. 

Ansonsten bestimmen die teuflischen Herrschaften in ihren weißen Dandyklamotten das Geschehen, während der dunkel gewandete Faust im Angesicht der Tragödie nur noch greint, nachdem ihn die Sorge, die Not und die Schuld in die Mangel genommen haben. 

Da konzentriert sich die Inszenierung zum virtuos choreografierten Kammerton, kehrt in dieses Sprechtheater eine Poesie des Grauens ein als Kontrapunkt zum actionreichen Szenenkarussell zuvor. Die beschleunigte Welt des Höher, Schneller, Weiter, Reicher konterkariert Gustav Rueb, indem er sie entschleunigt. Das ist so wirkungsvoll wie Gretchens Schlussgesang. Die Wahrheit wird offenbar. Kann man mehr verlangen? 

Wolfgang Nussbaumer, Gmünder Tagespost, 21. März 2009