Frankfurter Rundschau

O Glück, o Lust, o einsames Ende

Beschleunigter Klassiker: Goethes Bühnenerstling "Die Laune des Verliebten" in Kassel.

"Wie herrlich leuchtet mir die Natur!", stöhnt Eridon, greift in seine Unterhose und bewundert sich dabei im Spiegel. "O Erd! O Sonne! O Glück! O Lust!" Zwei Goethe-Texte bringt da der junge Regisseur Gustav Rueb in Kassel forsch zusammen, das "Mailied" und den Bühnenerstling Die Laune des Verliebten, 1767 vom 18-Jährigen geschrieben. Rueb hat das Stück für die Studiobühne des Kasseler Staatstheaters inszeniert und dabei nicht eben viel vom Original übrig gelassen. Umgeben von zerrspiegelnden Säulen (Bühne: Florian Etti) probieren die beiden Liebespaare Eridon/Amine und Egle/Lamon in aberwitzigem Tempo immer wieder neue Kleider an und Worte aus.

So geht es kreuz und quer durch die Jahrhunderte, von Goethe zu Marquis de Sade zu Choderlos de Laclos' Gefährlichen Liebschaften zu Peaches ("Fuck the pain away") und wieder zurück. Regisseur Rueb hat eine rund anderthalbstündige Textfassung entwickelt, die sich als "Versuchsanordnung zur Sprache der Liebe im 18. Jahrhundert und in der Gegenwart" versteht. Goethes Handlung und (amoralische) Moral bleiben bei dieser Collage zwar auf der Strecke, doch das schadet nichts.

Die Erkundungen, die Die Laune des Verliebten in Kassel anstellt, gehen darüber hinaus. Denn die Hoffnung des pubertierenden Dichters, mit allgemeiner Untreue der Eifersucht den Boden zu entziehen, wirkt so modern wie gestrig. Rueb lotet darum auch die Abgründe der Liebe aus, die tiefer sind als Untreue und Eifersucht. Besitzansprüche. Bindungsängste. Selbstverliebtheit. Machtspiele.

Andrea Cleven als kühl-schöne Egle, Birte Leest als zerbrechliche Amine, Jochen Drechsler als narzisstischer Schönling Eridon und Sebastian Hülk als Macho Lamon tasten sich durch diese tückisch-zerklüftete Gefühlswelt, wollen sich um jeden Preis behaupten - und enden allesamt als Einsame.

Überaus spannend und unterhaltsam gerät diese Klassikerbeschleunigung. Ihr Pendant findet sie in der Bühnenmusik von Mark Lim. Der Komponist hat das Schäfersingspiel Bastien und Bastienne, das der junge Wolfgang Amadeus Mozart als Zwölfjähriger komponierte, zu immer treibenderen Grooves verfremdet. Und auch für die kollektive Resignation hat er im Werk des rebellischen Wunderkinds die richtigen Töne gefunden: "Knurren, Brummen ist vergebens, ist das wahre Kreuz des Lebens", singt das Ensemble in einem verhaltenen, verzweifelten Kanon.