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„Othello“ in Darmstadt: Gemeinsam fort in den Sonnenuntergang

Gustav Rueb gönnt seinem tüchtig durchgeknallten und sehr heutigen „Othello“ einen hoffnungsvollen Ausgang.

Dieser „Mohr von Venedig“ beginnt als weiter Panoramablick auf Frankfurt und endet im Happy End. Auch erspart Gustav Ruebs Regie Othello (glänzend: Ernest Allan Hausmann) und Desdemona (Marielle Layher) nicht die Würgerei, aber das Sterben, während sie Jagos hasserfülltes Ressentiment aufs Rasen eines Internet-Trolls von heute hin liest.

Weil Rueb und die Übersetzung (gestisch-offenherzig Feridun Zaimoglu mit Günter Senkel, als Folie Graf Baudissin) die Tragödie klar aufs Heute deuten, gönnt Rueb dem abtretenden Paar eine Tochter als Pfand der besseren Zukunft und lässt die drei das Theater mit seinen Machinationen fröhlich zurück. Fort in den Darmstädter Sonnenuntergang: so Ruebs Othello-Alternative für Deutschland, nachdem uns das eckig kreiselnde Becken in der Bühnenmitte lang genug seekrank machte und in seiner Flachheit rund drei Stunden lang als Auffangbecken für Durchgeknallte diente.

Zwei Bühnenbilder reichen Team und Ensemble aus, um ihre Vision Othellos mit mehr Rassismus als Eifersucht unterzubringen. Am Anfang, da Jago (Thorsten Loeb) in der ersten Szene mit Rodrigo (Béla Milan Uhrlau) sein mörderisches Uhrwerk in Gang setzt, das Akt um Akt abschnurrt, sehen wir am Wasserspender und einer Toilette vorbei durchs zehnteilige Panoramafenster. Ruebs Venedig ist die Handels- und Bankenmetropole von heute, Brückenkopf für Flotten von West nach Ost: Hochhausblick auf Frankfurt also, Hauptbahnhof im Zentrum, Main links, Taunusanlage vorn, Mainzer Landstraße nach hinten. Weil „Othello“ heute spielt und der Titelheld die kurz aufgetragene Elisabethanerkluft später auch nur lächerlich findet (meist kleidet ihn Admiralsweiß), ersetzt Flugzeugbrummen die schwappenden Galeeren in Lagune oder Arsenal.

Links fühlt der übergangene Jago sich zur Putzfrau erniedrigt und spielt seine Trolls-Missgunst mit Eimer und Sanitärhandschuhen zum grauen Anzug und Handy aus. Nicht lang, und Hubert Schlemmer, Desdemonas Vater im Kostüm Dorothee Joistens, markiert den Plebejer und Mafioso: schlechter Anzug, hässlich buntes Hemd, Grauhaar zurück, harte Züge. Tolle Darstellung. Dann folgt der im Krach mit Othello vermittelnde Doge und lenkt das Geschehen nach Zypern: Erwin Aljukics zerbrechliche Körperlichkeit als Ein-Meter-Mann an krähenfüßiger Gehhilfe spiegelt perfekt die abstrakte Macht. Beide Darsteller zeigen sich als Sprechkünstler.

Dann schon das kreiselnde Becken unter mal leuchtender, mal verglühender Riesensonne in schwarzer Leere. Vielleicht meint Daniel Roskamp (Bühne) buchstäblich das Mittelmeer damit. Gegen Ende entfällt die Sonnenscheibe, dass uns die Scheinwerfer direkt in Herz und Hirn blenden: schön erdacht. Was so weit berührt, ist das Einanderverfehlen von Mann und Frau, Othello und Desdemona, die einander gleichwohl nicht so idealisierend missverstehen wie bei Shakespeare.

Von der makellosesten Shakespeare-Tragödie, die zehn Jahre nach „Romeo und Julia“ zehn Jahre klüger daherkommt, heißt es ja, Othello trage Jago in sich, bevor der eine einzige Intrige abfeuert. Sieht der Mohr nur Nägel, weil seine Eifersucht sein Hammer ist, der alle „Weiber“ zu Huren macht, wenn ihr Engel-Status prekär wird?

Wichtiger scheint hier, dass Shakespeares Figuren stets recht haben, solange sie sprechen, weshalb Hassredner und Zerrgestalten wie im „Othello“ ein böses Licht auf uns Menschen und unsere Dummheiten werfen. Das macht aus Jagos Mohrenhass den Rassismus von heute und das Liebespaar („mein Lämmchen, mein Schokoplätzchen -“) zu Opfern der sozialen Umstände.

Was leider auch Nuancen kappt. Warum die Hure Bianca in der Ganz-und-gar-nicht-Hure Emilia (Judith Niederkofler) mit einschmelzen? Schön aber, wie Hausmanns Othello und Layhers sprunghaft junge Desdemona ihre Liebesfreude zeigen, wenn sie in nichts als seiner Admiralsjacke auf die Szene läuft oder Zaimoglu die Liebespoesie handfest überwitzelt. Schön auch, wie Daniel Scholz’ Cassio den eingefädelten Absturz im Suff psychologisiert und Uhrlaus Rodrigo sich offen und schwankend hält, bis ihn der hübsch hassenswerte Jago kaltmacht. Was Rueb am Personal einspart, kommt seinem Hoffnungssymbol zugute: einem scheuen schwarzen Mädchen (Afua Wiredu).