Ruhrnachrichten

Aus dem Abschied wird eine Abrechnung

„Ein großer Aufbruch“ im Grillo-Theater lässt niemanden unverletzt zurück.

Britta Helmbold 
Essen.

Holm will sterben, wie er gelebt hat – selbstbestimmt. Der todkranke Entwicklungshelfer lädt die wichtigsten Menschen seines Lebens zu einem Abschiedsessen ein. Das verläuft allerdings nicht so, wie vom egoistischen Lebemann geplant, die Feier gerät zur Abrechnung. Eine emotionale Achterbahnfahrt, in der immer wieder komische Momente in tragische kippen, ist das von Gustav Rueb inszenierte Kammerspiel „Ein großer Aufbruch“ von Magnus Vattrodt, das am Samstag bei der Premiere im Essener Grillo-Theater mit lang anhaltendem Applaus gefeiert wurde.

Ironie und Zynismus

Für das überzeugend agierende Ensemble hat Peter Lehmann auf den Dielenboden einen Esstisch und Stühle gestellt, die Requisiten für das „letzte Abendmahl“, wie Tochter Marie es ironisch nennt, sind an der Bühnenrückwand aufgereiht. Und Dorothee Joisten hat mit ihren Kostümen dafür gesorgt, dass die Charaktere dieser Familienaufstellung gleich sichtbar werden.

Vattrodts Dialog-Pingpong ist gesättigt mit Ironie und Zynismus – und streift das Thema Sterbehilfe. Rund um den Tisch werden die Lebenslügen entlarvt, und nicht nur Jens Wintersteins Holms „gelungenes Leben“ zerbricht. Bis auf seine Ex- Frau Ella (Monika Bujinski), die den Clan vor mehr als 30 Jahren verließ und nun als abgeklärte Beobachterin dem Abschied beiwohnt, tragen alle Verletzungen davon. Denn es geht nicht nur Holms Freitod-Projekt, von dem bisher nur Ella wusste, sondern auch andere unangenehme Wahrheiten kommen auf den Tisch. 68er Holm lässt sich vom besten Freund Adrian (Thomas Büchel) aushalten, weil er sich mit Aktien verzockt hat und unterhält seit Ellas Abgang ein Verhältnis mit seiner Frau (Ines Krug). Adrian wiederum hat mit Holms flippiger Tochter Charlotte (Silvia Weiskopf) geschlafen, und die als Anwältin erfolgreiche Marie (Floriane Kleinpaß) wirft ihren Eltern ihre schreckliche Kindheit in Afrika vor.

Das Essen ist zwar aus den Fugen geraten, doch ein Happy End gibt es trotzdem, davon erzählt Holm aus dem Jenseits. Ein tragikomischer Abend mit einem gekonnt aufspielenden Ensemble.