Darmstädter Echo

Im Salon der Eitelkeiten
Lustspiel
Gustav Rueb gelingt mit „Ein Klotz am Bein“ eine temporeiche und sehr komische Feydeau-Inszenierung

Von Johannes Breckner

Darmstädter Echo
16.10.2017

Wer eine Frau loswerden will, sollte nicht so oft „Ich bete dich an“ sagen. Aber erstens hat Fernand ein weiches Herz, zweitens ist Lucette eine sehr angenehme Gefährtin, die drittens auch die Kunst der sanften Erpressung raffiniert beherrscht. Also sieht man den Lebemann zur Mittagszeit noch sparsam bekleidet im Salon der schönen Sängerin, wo doch am Abend schon sein Heiratsvertrag unterschrieben werden soll, mit einer blassen, aber erfreulich wohlhabenden Baronesse.
Das ist eine der vielen skurrilen Versuchsanordnungen, in denen der Lustspielautor Georges Feydeau die Vergnügungssucht über die bürgerliche Moral siegen lässt. Gustav Rueb hat für seine Darmstädter Inszenierung von „Ein Klotz am Bein“ den Text aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert neu und frisch übersetzt, und mit dem flüssigen Rhythmus der Sprache hat er die Grundlage gelegt für seine flotte Regie, die den Witz von Figuren und Situationen sehr unterhaltsam herauskitzelt. Nach der Premiere am Samstag im Kleinen Haus des Staatstheaters gab es dafür begeisterten Beifall.
Dabei ist Rueb als Regisseur durchaus risikobereit. Er sucht nicht das elegante Vergnügen, sondern treibt den absurden Spaß auf die Spitze und findet doch noch einen ironischen Unterton - dann sieht es so aus, als amüsiere sich ein gutgelauntes Ensemble über die aberwitzigen Erfindungen in dieser Konstruktion. Dass sie zeitlos funktionieren, erzählt die Ausstattung - die von Peter Lehmann entworfenen Salons vollziehen in den drei Akten eine Zeitreise in die Moderne, und die letzte der von Robert Lang groß ausgemalten Diener-Miniaturen trägt ihre Aufsässigkeit im Trainingsanzug spazieren (Kostüme: Dorothee Joisten).
Erst einmal kann Karin Klein als divenhafte Sängerin glänzen, die sich gerne von den eigenen Gefühlen davontragen lässt. Der erste Akt zeigt das emsige Kommen und Gehen von Freunden und Verehrern in ihrer Wohnung, der zweite die furios scheiternde Verlobungsfeier, in der zwei Welten aufeinander treffen, die nichts voneinander wissen dürfen. Im dritten sehen wir am Morgen danach Fernands Elend, das mit einem schrägen Ständchen im Treppenhaus doch noch ein glückliches Ende findet: Ruebs Regie geht auch am Schluss nicht die Puste aus, und ein gutgelauntes Ensemble leistet passgenaue Arbeit.
Vor allem Christoph Bornmüller hat einen großen Abend im Dauerwechsel zwischen zwei Rollen. Mit langem Kleid und Löckchenperücke ist er Lucettes chronisch beleidigte Schwester, die sich mit lautem Mundwerk aus dem Schatten der umschwärmten Sängerin herausmault, im unscheinbaren Anzug ist er der erfolglose Chanson-Dichter Bouzin, der kleine Schlüpfrigkeiten mit großer Geste anpreist und einen kleinen Verkaufstrick beinahe mit dem Leben bezahlt. Denn zu dem Personal, das hier über die Bühne wirbelt und wütet, gehört ein südamerikanischer General, der Lucette liebt und alle Widersacher aus dem Weg räumen will, Jörg Zirmstein karikiert den Wilden, dessen Uniform so schlecht sitzt wie die Sprache. Mathias Znidarec ist mal der schrullige Freund mit Mundgeruch, mal die Englischlehrerin der verhinderten Braut, Christian Klischat der lässige Ex-Mann von Lucette. Und Katharina Hintzen spielt die zickige Göre, die keine Lust aufs Heiraten hat und ihre schrille Stimme mit zackigen Bewegungen kombiniert. Ihrer Mutter (Gabriele Drechsel) lässt der text kaum eine Chance zur komödiantischen Entfaltung.
Der Mann im Mittelpunkt wirkt anfangs noch unscheinbarer, als alle behaupten. Aber Daniel Scholz als Fernand zeigt ein Langstrecken-Komödientalent, und die Strecke dauert immerhin fast zweidreiviertel Stunden. Scholz zieht kalkuliert das Tempo an, während sein Fernand allmählich die Sicherheit verliert, die Sache im Griff zu haben. Am Ende wird er in Unterhose vor der verschlossenen Tür seiner Wohnung stehen (…).
Man darf sicher sein, dass Fernands Verzweiflung nicht anhalten wird: Der Satz „Ich bete dich an“ wird diesem Mann bald wieder über die Lippen kommen.