„Parsifal“ in Essen: Gustav Rueb inszeniert den Mythos als Schauspiel
25.10.16
Von Edda Breski
ESSEN - Der Weltraum, unendliche Weiten. Am Rand ist ein kleiner Schriftzug zu entdecken: „das Universum“. Er öffnet eine Anthropologenperspektive: auf den Menschen. Am Schauspiel Essen bearbeitet Regisseur Gustav Rueb das Parzival-Epos als Menschheits-Dichtung. Er verbindet zwei Vorbilder: Richard Wagners Bühnenweihfestspiel „Parsifal“ und die Bearbeitung des „Parzival“ von Tankred Dorst.
Rueb versucht nach Dorst praktisch einen Hack des übermächtigen Wagner-Werks mit seinem Kreisen um Schuld, Sühne und Erlösung. Er führt Elemente der mittelalterlichen Dichtung ein, um den Mythos wieder zu öffnen.
Das erste Wort hat ein Affe in Kutte: Die Erde ist fort, über die Menschen weiß man wenig. Der Vorhang enthüllt eine Krankenhausszene. Im Bett liegt Herzeleide, ihr zu Füßen sitzt Parsifal, ein grausames Kind. Er tötet einen imaginierten Vogel (eine Umdeutung des Schwans, den Wagners unwissender Parsifal abschießt). Ein Seuchenkommando tritt auf. Ein Verwundeter wird vorübergeschoben, es ist Amfortas.
Parsifals Unwissenheit ist nah an der Grausamkeit. Dass sein Auszug in die Welt die Mutter tötet, steht natürlich so bei Wolfram von Eschenbach. Falls Alien-Ethnologen Studien menschlicher Mythen betrieben, fänden sie Spuren großer Gleichgültigkeit. Parsifal tötet den Roten Ritter wegen seiner Rüstung. In Essen wird das in die Jetztzeit geholt, eine heruntergekommene Straßenflucht aufgebaut (sie ist später auch Klingsors Reich). Der Junge ersticht mit einer Glasscherbe einen Rivalen um ein Mädchen. Hier wird verkürzt bebildert, wie Gesellschaft ihre Mitglieder formt. Vom Soziologischen entfernt sich Rueb aber schnell wieder ins Mythenhafte.
Parsifal geht auf Reisen, als Killer. Er begegnet Sufis, sucht Rat bei der Religion. Einsamkeit und Größenwahn formen ihn. Philipp Noack spielt das mit Kindergesicht. Sein Handausstrecken erinnert an märchenhafte Riesen, die die zarten Menschen zerstören, weil sie ihre eigene Kraft nicht kennen.
Die Gralsbrüder in ihrer Wüstenwelt sind alle vogelwild. Sie werden von Gurnemanz (Jens Winterstein) bepredigt wie straffällige Kinder. Amfortas (Axel Holst spielt auch Klingsor, was besser genutzt werden sollte) führt einen Blutkult an. Der Gral ist eine Transfusionsmaschine. Ab hier wird direkt Wagners Text zitiert. Seine täuschend simplen Verse sprechen sich allerdings nicht leicht, vieles leiert. Die Ausnahme: Philipp Noack und Laura Kiehne als Parsifal und Kundry finden einen intensiven Rhythmus. Deutlich wird, dass die Wagnersche Idee von Schuld und Erlösung das menschliche Drama überformt. Erst nach der Pause bündelt Rueb konsequent die Ebenen: Wagners „Klingsor“-Akt und die harte Auseinandersetzung zwischen Parsifal und Kundry. Parsifals Größenwahn verfestigt sich. Zur Musik sprechen und schreien Noack und Kiehne die Texte. Kiehne spielt alle Frauenfiguren, die Szene lebt also heftig vom Ödipus-Komplex.
Das stärkste Element der Inszenierung ist die Musik, verantwortet vom Berliner Komponisten Eric Schaefer. Wagnerthemen schleichen sich ein, verrauscht wie ein Funkspruch aus den Tiefen der Zeit. Eine Geräuschebene suggeriert Raumtiefe, Weltallmusik. Ein vierköpfiger Chor singt den Gralsritterchor. Ein Akkordeon skizziert „Parsifal“-Themen sentimental-walzerig oder drohend-marschhaft. Außerdem hat man sich John-Dennis Renken geholt, der kühle Trompetentöne in die Szenen tropfen lässt. Die Musik öffnet ihre eigene Ebene, orientiert am, aber nicht dominiert vom großen Vorbild. Das ist eine große Leistung, stark umgesetzt von den Schauspielern Thomas Anzenhofer, Sven Seeburg, Rezo Tschchikwischwili, Oliver Urbanski.
Die von Rueb und seinem Team eingeführte Bühnenästhetik kommt von großen Vorbildern nicht los. Ideen, die leitmotivisch verarbeitet werden, wirken so beliebig. Kundry versucht Parsifal zu verführen und kriecht vor ihm auf den Knien – was sonst? Bei Wagner unterwirft sie sich, in den Originalquellen aber ist sie die geehrte Gralsbotin. Wieso greift Rueb keine weiteren Facetten auf?
Um den schweren Stoff aufzulockern, bringt er stattdessen Comedy-Einlagen. Das Duett von Sonne und Mond, die Holst und Anzenhofer als angetrunkene Schauspieler an die Rampe bringen, hemmt aber eher. Soll das ein Verweis auf die Wagnersche Idee von der Kunst als Überformung des Lebens sein? Dann verpufft er ins Lächerliche. Die Schlussszene ist knapp erzählt: Parsifal hat den Gralskult übernommen. Er ist nun ein Ritter in schwarzer Lederjacke, der letzte seiner Art. Ein starkes Bild.