Kulturmagazin

 DAS LACHEN UND DER SCHMERZ 

von Juliane Sattler 

Vielleicht ist es Nelly, die uns durch den brutalen Sound des Krieges hilft; Klänge eines Bombardements, das uns zusammenzucken lässt, minutenlanger, ins Groteske übersteigerter Lärm, wir sind Gefangene im Lärm raum. Ausgeliefert. Aber Nelly, dieses Dornröschen der Neuzeit, streift sich gerade dann ihr Brautkleid aus weißen Fetzen über. Mitten im Bombenhagel träumt sie sich weg, und zuweilen, wenn die Weit da draußen sich ganz und gar auslöschen will, fällt sie in einen tiefen Schlaf. Wie im Märchen. 

Der ganz normale Familienwahnsinn 

Auf der Bühne vom Kasseler tif wird das Stück »Hochzeit bei den Cromagnons« von Wajdi Mouawad zur deutschsprachigen Erstaufführung gebracht. Bereits 1992 hatte der Autor diese Groteske geschrieben, doch das Stück blieb ungespielt. Inzwischen ist der gebürtige Libanese längst zum erfolgreichen Theaterautor avanciert. Dass das Staatstheater Kassel jetzt Mouawds brillanten Erstling auf die Bretter bringt, zeugt von großem Mut. Denn leicht spielbar ist dieses inkorrekte, böse Stück sicher nicht, in dem der Autor eine vom Bürgerkrieg verwundete und versehrte Gesellschaft zeigt. Die Cromagnons, Höhlenmenschen mit hautähnlicher Fetzenkleidung (Bühne und Kostüme: Daniel Roskamp), leben in einer Zeit, in der der Krieg die Städte weggebombt hat. ln einer Höhle aus Wellblechwänden (Musik: Eric Schaefer und das Regieteam nutzen den Bühnenraum als Klangmaschinerie für den Kriegssound) halten sie ihren kleinen Alltag aufrecht und überleben in ihren Träumen. Und so bereiten sie alle, Mutter Nazha (Anke Stedingk), Vater Neyif (Uwe Steinbruch), Sohn Neel (Christoph Förster) und Tante Souhayla (Eva-Maria Keller) für Tochter Nelly (Sabrina Ceesay) die Hochzeit vor. Der Hammel wird vom Vater herbeigezerrt, die »Tafel« von der Mutter unter dem Kronleuchter gedeckt, die Tante bringt die Suppe vorbei, man streitet sich über den Salat, über die Hose vom Sohnemann. Der ganz normale Familienwahnsinn ist das Lachen gegen das Grauen. 

Mouawad hat eine raue, rohe Komödie geschrieben, und sie dann, ganz surreal , ganz absurdes Theater, immer wieder mit Inseln von Poesie und Visionen durchzogen. Wenn die somnabule Nelly mit dem Kinderlächeln ihrem jüngeren Bruder begegnet, auch er ein vom Krieg zerstörter Träumer, dann bekommt das vorher so derbe Theater Flügel: Nelly ist die elementare Unschuld in einer brutalisierten Weit, ihre Sätze sind kleine Kostbarkeiten, auch wenn sie die Grausamkeiten des Krieges beschreiben: »Wie kann etwas so traurig, so lustig sein«. Sabrina Ceesay spielt die Nelly wie aus einer fernen Zeit herbeigeweht. Und wenn sie ganz zum Schluss mit ihrem »Bräutigam« davongeht, ahnen wir, dass er vielleicht doch ein ganz anderer sein könnte. Vielleicht der Tod? 

Groteske und Träumerei 

Wie Regisseur Gustav Rueb seine lnszenierung in diesem fast atemlos wirkenden Wechsel zwischen Groteske und Träumerei, zwischen derber Realität und poetischer Vision über eineinhalb Stunden vorwärts treibt, berührt und verschreckt zugleich. Lässt den Zuschauer mitschwingen im Wechsel der Stimmungen. Das Lachen und der Schmerz, der Schmerz und das Lachen. Wir lernen so vielleicht die Mutter zu verstehen, wie Anke Stedingk sie spielt, die so vulgär und rabiat an ihrem Lügentraum festhält. Verwundet und verwundert gibt Christoph Förster dem Jungen Neel, der so gerne Kind geblieben wäre, ein unnachahmliches Profil. Bravo. Der älteste; aus dem Krieg heimgekehrte Sohn Walter (Artur Spannagel) ist gefährlich nah an der Karikatur eines IS-Kämpfers. Uwe Steinbruch gibt den Vater mit fast stoischem Widerstand, Eva-Maria Keller ihre Souhyala mit rührender Haltung im Weltuntergang. 

Der Krieg im Nahen Osten - wie kann man dieses Grauen spielen? Am Kasseler tif hat man es versucht und eine Möglichkeit gefunden. Mit diesen Schauspielern konnte es gelingen. Stürmischer Beifall zur Premiere.