Süddeutsche Zeitung

Ende einer Spaßgesellschaft 

Elfriede Jelineks "In den Alpen" am Stadttheater Ingolstadt 

Von Florian Welle 

155 Todesopfer forderte die Brandkatastrophe der Gletscherbahn Kaprun am 11. November 2000. Die Wintersportler verbrannten oder erstickten in einer Rauchgaswolke. Das Unglück bot Elfriede Jelinek den Anlass für ihr 2002 entstandenes Stück "In den Alpen". Darin steht das Ereignis exemplarisch für eine allgemeine Zivilisationskritik. In den Worten der Schriftstellerin: "Im Grunde schreibe ich immer ein- und dasselbe Stück fort. So ist "In den Alpen" gewissermaßen eine Fortsetzung des "Sportstücks". Nur ist es diesmal der Sport, das Vergnügen, der Spaß als Katastrophe." Nun hatte "In den Alpen" am Stadttheater Ingolstadt in der Regie von Gustav Rueb Premiere. 

"In den Alpen" ist typisch Jelinek, eine ausufernde Textfläche. Die kriegt sie mittlerweile routiniert hin: Die intellektuelle Sentenz steht schroff neben dem Kalauer, das Brutale neben dem Banalen, eigene Textpassagen neben Fremdtexten - hier aus der Geschichte des Alpinismus und aus Celans "Gespräch im Gebirg". Wie immer bei Jelinek geht es auch um Österreichs verdrängte Nazi-Vergangenheit. Hauptmotor für die gut geölte Textmaschine "In den Alpen" ist die Figur des "Kindes". Es hat das Gletscherbahnunglück nicht überlebt, jetzt spricht es hoch mal zu uns aus einer Art Zwischenreich, ehe es im Jenseits verstummen wird. Jelineks Regie-Anweisung für das "Kind" lautet, es solle "recht penetrant" als solches gespielt werden. Béla Milan Uhrlau hat sich das ganz offensichtlich zu Herzen genommen. Der Skianzug in dem er steckt, sieht aus wie ein Strampelhöschen. Er nölt herum wie ein beleidigtes Kind, zieht Schnute und fuchtelt mit den Armen. Erst nach und nach nimmt sein Spiel Fahrt auf, rattert er stellenweise den Text hart herunter. (...) 

Neil Postmans "Wir amüsieren uns zu Tode" könnte Gustav Rueb als Motto seiner grösstenteils einleuchtenden Inszenierung gedient haben, die die ganze Zeit vor und in einer Art Eishöhle spielt. Sie ist Gletscherbahntunnel und Hölle in einem. Das Beste: Rueb hat einen Chor eingebaut, der stellvertretend für all die Toten steht. Auch sie tragen Schneeanzüge, staksen wie Zombies herum und singen Bergsteigerlieder wie "Wenn wir erklimmen schwindelnde Höhen". Zwischenzeitlich machen sie einen auf Spaßgesellschaft und feiern eine Après-Ski-Schaumparty. Schließlich muss "eine Gaudi sein."