Spektakel über die Erotik von Schätzen, Götzen und Menschen
Rostocker HMT-Studenten zeigen die Komödie "Der Geizige" nach Molière und Peter Licht: Ein schrilles Gesellschaftsgemälde als vergnügliche Kapitalismus-Kritik
Von Dietrich Pätzold
Am Ende Bravos und tosender Applaus. Aber das ist ja normal, wenn eine Premiere gut organisiert über die Bühne geht. Erst recht, wenn Schauspielstudenten ihr grosses Projekt aufführen.
Doch bei der Premiere des "Geizigen" nach Molière und Peter Licht am Donnerstagabend im Innenhof der Rostocker Hochschule für Musik und Theater war viel mehr dran: Es schien, als hätte die bei der Berliner Uraufführung 2010 etwas umstrittene Modernisierung durch Peter Licht nun endlich das ihr gemäße Ensemble gefunden - oder als hätte diese Truppe, das vierte Semester der Rostocker Schauspielstudenten, hier den Text gefunden, den sie schon immer wollte.
So spielen die Eleven in einer mitreissenden Inszenierung des Schweizer Regisseurs Gustav Rueb kein bisschen studentenmässig, sondern absolut souverän, leidenschaftlich und radikal. Regisseur Rueb lässt sie als Rockband agieren, deren Rhythmen aus zwei Schlagzeugen und etlichen Plastikflaschen erzeugt werden, oder als raffiniert verspielter Schauspieler-Chor. Und in ihren grell typisierten Rollen zeugen die grossartigen zehn zwischen Satire, Parodie und Slapstick, wie viel das Schauspielen mit heftiger und geradezu erotischer Lust zu tun hat.
Mit alldem geben sie der Hansestadt das, was hier im Sommer so schmerzlich vermisst wird: Ein tolles Theaterspektakel. Nun müsste man ihnen natürlich die Ferien kürzen, damit sie es noch viel öfter spielen - denn geplant sind bisher nur Aufführungen bis zum Montagabend.
Nicht aus dem Regal der Molière-Werke kommt ihr Spiel, sondern mitten aus der Gegenwart. Mit vielen verblüffenden Text-Erweiterungen über die Absurditäten unserer modernen Existenz wird es zur vergnüglichsten Kapitalismus-Kritik, die Theater leisten kann. Obwohl es ganz anders beginnt:Molières Titelheld Harpagon scheint als Konsumverweigerer und Sand im Getriebe des Geldkreislaufs aufgewertet. Und ein Chor rotziger Jugendlicher mit der Anspruchshaltung des "Gib schon her, Alter!" fällt genervt meckernd über ihn her: "Der hat das nicht begriffen: das Zeug muss fliessen, die Kohle, die Penunze, von dem Zustand deine Kohle in den Zustand meine Kohle." Wie diese Gruppe gehätschelter Konsumidioten in der Geistlosigkeit neuerer Jugend-Strassensprache ihren Anspruch vorträgt oder über die Pflegekosten für die Alten stöhnt - parodistisches Vergnügen.
Dann freilich Molières Plott: Der alte Geizkragen will eine junge Frau heiraten die aber seinen Sohn liebt; ausserdem will er an einen steinreichen Alten seine Tochter verkuppeln, die aber dessen Sohn liebt. Nun aber erhlät die Rebellion der Jugend gegen den Geizigen ihren schönen Sinn, nun geht's - nach Erich Fromm - um Sein statt Haben. So wandelt sich die Kritik am Geizigen zur Kapitalismuskritik mit schönen Höhepunkten. Eine ist die geniale Fettwanst-Klage von Anselme. Den spielt Camilla Nowogrodzki, die uns dann über die "Zinsemotionen" auf schwindelerregende Weise zu einem besonderen "Gottesbeweis" führt. Andere betreffen die Existenz lästiger Mitmenschen überhaupt (Varvara Popovkina als Harpagon) oder den tagtäglichen Verlust der eigenen Identität beim morgendlichen Weckergeläut (Emanuel Jessel als Polizeikommissar). Ebenso stark auch alle anderen Akteure: Moritz Stephan, Anja Willutzki, Joseph Bundschuh, Kinga Schmidt, Judith Nebel, Matthias Kurmann und Hannes Schumacher. Fazit: Muss man sehen!