WAZ

Im Taumel der Sprache

Werner Streletz 

Bochum. Zu Anfang balanciert Regine ein Grablicht auf der Stirn. Grablichter flackern auch am Boden. Kokettieren mit dem Tod oder Hinweis auf die Morbidität dieser kleinen Gesellschaft, die ihre Gefühle unter sprachlicher Feingravur zu verbergen sucht? Robert Musils Drama „Die Schwärmer“ gilt von jeher als wenig bühnentauglich, als Lesedrama. Regisseur Gustav Rueb gelingt auf der Bühne der Kammerspiele nur bedingt der Gegenbeweis. Zu sehen ist indessen ein eigenwillig berückender Abend, weit entfernt von den lärmenden Eindeutigkeiten unserer Medienwelt. 

Hollywoodschaukeln stehen auf der spartanischen Bühne von Florian Etti, auf die der Zuschauer durch einen rechteckigen Rahmen aus hellem Furnierholz schaut. Wer sich auf die labilen Ruhekissen setzt, gerät auf angenehme Weise ins Schwanken. Möglicherweise wünscht er sich auch auf den festen Boden zurück. Der Hinweis auf die Traumfabrik des Films könnte daran erinnern, dass die Menschen in Musils intimem Gruppenbild weniger das umtreibt, was an Wirklichkeit vorhanden ist, sondern dass sie sich mehr um das bemühen, was sein könnte. Das verbindet diese Schwadroneure vom Anfang des vergangenen Jahrhunderts mit heutigem Empfinden: Wo keine verlässlichen Lebensentwürfe mehr möglich sind und der Mensch zu einer auch als schwierig empfundenen Freiheit verurteilt ist, bleibt nur der Ausweg ins Ausprobieren unterschiedlicher Befindlichkeiten. 

Musils Schwärmer verfangen sich in den Fallstricken einer eher banalen Ehebruchsgeschichte, diese jedoch nicht mit direkter Gefühlswucht erlebend, sondern beständig reflektierend - geistesgewandt und klug. Und ratlos: Am stärksten verdeutlicht Thomas diese wankende Entschlossenheit, den Stefan Schießleder überzeugend als einen von sich selbst irritierten Durchblicker gibt. 

Die Finesse des Regisseurs besteht darin, aus den papierenen Lebensklugheiten der Figuren den emotionalen Kern herauszuschälen und in Bühnenhandlung zu übersetzen. So kann sich Geschehen, Aktion entwickeln, obwohl alle - streng genommen - über weite Strecken aneinander vorbeireden, wirkliche Dialoge selten sind. Mehr noch: Der Abstand zwischen tiefgründigem Wortgeklingel und Tat in diesem feingeistigen Parlieren verstärkt die Fremdheit, die alle voneinander trennt. 

Das Bemühen, die zweite Ebene unter dem Gesagten sichtbar zu machen, verführt Rueb leider zeitweise zu einer lautstarken Rabiatheit, die die gesitteten Individualisten zu hart in unserer abgebrühteren Gegenwart aufschlagen lässt. Regine (Marina Frenk) verzehrt sich nach ihrem verstorbenen Johannes so ausdauernd schreiend, als stünde die Einlieferung in eine geschlossene Anstalt kurz bevor. Etwas mehr Dezenz hätte die Wirkung des so eigenartig berührenden Sprachtaumels eher verstärken können.