BEVOR IN PARIS DIE KÖPFE ROLLEN, ZIRPEN DIE GRILLEN
Dantons Tod in Kassel
Von Evi Baumeister
Als effektvoll aufgezogenes Revolutionsdrama mit Geräuschbeilage hat Gustav Rueb am Staatstheater Kassel "Dantons Tod" von Georg Büchner inszeniert.
Kassel. Paris - die Stadt der Liebe? Nein, Paris ist ein Schlachthaus. Wir sind mitten darin im Foyer des Schauspielhauses Kassel, wo zwischen das kühle Kaffeehausmobiliar zwei Guillotinen aufgebaut sind, gewissermaßen in Lebensgröße. Die schaurige Begrüßung deutet bereits an, worum es dem Regisseur Gustav Rueb mit der Inszenierung von Georg Büchners Drama "Dantons Tod" geht: das mit klugen, scharfen Schnitten eingekürzte Revolutionsstück bei weitgehender Werktreue seinem zeitlichen Kontext zu entreißen und in den "Fatalismus der Geschichte", sprich in eine konsumfreudige Gegenwart von zeitloser Harmlosigkeit zu transferieren.
Das Schafott, eine freundliche Spende des Hauses Chanel, trägt dessen Logo, der bejubelte Premierenabend einen frischen Hauch blutunterlaufener Gesellschaftskritik ohne aktuelle politische Bezüge. Doch ehe sich ein rockiges Aroma aus dem 68er Flacon auf der doppelgängig verglasten Drehbühne von Daniel Roskamp verbreiten wird, extrahieren in einer Art Prolog die ehemaligen Kampfgefährten und jetzigen Bademantelhelden Danton und Robespierre mit überschminkten Mündern den wie vom Zufall der Mikadostäbchen hingeworfenen bedeutungsvollen Satz: "Die soziale Revolution ist nicht beendet."
Robespierre starrt durch ein Einheits-Brillengestell
Das Publikum wird diesen wie ein medizinisches Präparat sezierten Passus im Verlauf des Abends mehrfach hören. "Das Laster muss bestraft werden, die Tugend muss durch den Schrecken herrschen" - dieser Ausspruch Robespierres hängt drohend wie ein Damoklesschwert über dem zweiteiligen Abend.
Das Laster verkörpern vier jungenhafte Deputierte, allen voran der schneidige Sympathieträger Thomas Meczele als Georg Danton. So sehr er in seiner Rolle zündende Funken von Freiheitsliebe und Freundschaft versprüht, so verkrampft und verklemmt gibt Peter Elter den Gegenspieler Robespierre. Seinen Augenengstand mit irr besessenem Blick betont ein Einheits-Brillengestell, vor dem einem bange werden kann. Unerbittlich wird er ausführen, was ihm der eiskalt angelegte St. Just einflüstert. Die stille Niedertracht der Anke Stedingk, das leise Auftreten dieses hier weiblichen jakobinischen Todesengels bleibt einem stärker im Bewusstsein als alle raubeinig bis zur Heiserkeit vorgetragenen Passagen der Herren Camille Desmoulins (Alexander Weise), Hérault-Séchelles (Björn Bonn) und Philippeau (Aljoscha Langel).
Wie sich das lichte, locker orgiastisch anmutende Leben von Danton & Friends wendet zum eingekerkerten Schattendasein (Licht: Oskar Bosman), so hebt sich knarzend und gruselig effektvoll der Deckel der Geräuschekiste, die Sounddesigner Heiko Schnurpel dem Stück öffnet. Nach dem abendschön gesprochenen Monolog der verführerischen Grisette Marion (Anna-Maria Hirsch) meint man, ein fauchendes Monster tue sich auf. Die effektvoll in einen Glasgang gespreizten Volks- und Massenszenen werden mit starkem Nachhall potenziert, zarte Grillen zirpen zu Lucilles Wahnideen, denen Eva Maria Sommersberg glaubhaft verfällt.
Dantons Gattin Julie (Alina Rank) greift zum Strick, denn das Todesurteil über ihren Liebsten wird vollstreckt. Da fährt mit dem ersten sackenden Schattenfallbeil ein Zucken durchs Publikum. Doch danach hat man sich an die blutverschmierten Hemden (Kostüme: Ulrike Obermüller) und die abgehackten Köpfe schnell gewöhnt, wie es das Flugblatt dem hessischen Lande kündet. Nach ernstem, später begeistertem Applaus geht man zur Tagesordnung - Premierenfeier - über. Die Schnittchen werden gleich hinterm Schafott serviert.