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DIE REVOLUTION VERBRENNT 

"DANTONS TOD" AM KASSELER STAATSTHEATER 

von Bettina Fraschke 

Dieser Abend ist ein Aufschrei. Gespeist aus Adrenalin, Sexgier, Machtgeilheit und Angst. Wie nah diese Stimmungen beieinanderliegen, zeigt Gustav Ruebs grandiose Inszenierung von Georg Büchners Drama „Dantons Tod“. 

Die wurde im ausverkauften Kasseler Schauspielhaus am Samstag mit frenetischem Beifall gefeiert. 

Rueb gelang ein durchdachter, beziehungsreicher und zugleich höchst sinnlicher Revolutionsabend, dessen aufwühlender Euphorie – und Beklemmung – sich die Zuschauer kaum entziehen konnten. Das überzeugende Ensemble schuf aus den historischen Figuren lebendige und zu Herzen gehende Charaktere. Eine ganz nah an die Sitze herangebaute Bühne (Daniel Roskamp) und mehrere Spielszenen im Saal verstärkten die Intensität des Erlebnisses zusätzlich. Minimale Längen gab es allenfalls im zweiten Teil. 

Zum bedrohlichen Dauergrollen (Sounddesign: Heiko Schnurpel) entfalten sich die Nachwirkungen der Französischen Revolution. Danton, der Star von einst, zehrt vom Ruhm, ist aber müde geworden. Bei sexuellen Eskapaden und einsamen Spaziergängen durch die Nacht versucht er, seiner wachsenden Skepsis Herr zu werden: Wie soll es weitergehen? Thomas Meczele spielt ihn mit flirrendem erotischen Charisma und als Typ, der sich auch seinen politischen Weggefährten über eine große Körperlichkeit nähert. Dabei ist er stets von Melancholie umflort, der Blick ins Unbestimmte gerichtet. 

Seine Clique steht schließlich vor dem Tribunal, eine ewige Nacht lang wartet man auf den Gang zum Schafott, pusht sich noch einmal in den Rausch von damals, als alles möglich schien, als die Revolution Welten öffnete. Alexander Weise ist als Camille an Dantons Seite ein junger Brausekopf. Er brennt wie eine Lunte, die man an beiden Enden angezündet hat. Sein Camille ist einer, der nie aufhört zu debattieren, für den Atmen und Überzeugenwollen eins sind. Und der doch ohne seine geliebte Lucile (Eva Maria Sommersberg) nicht sein kann. 

Björn Bonn (Hérault) und Aljoscha Langel (Philippeau) komplettieren die coole Gang in Adidashosen, Rüschenhemd und Wallehaar (Kostüme: Ulrike Obermüller). 

Anke Stedingk spielt auf der gegnerischen Seite den Strippenzieher St. Just unheimlich-verführerisch wie einen Mephisto. Peter Elters Robespierre will hingegen purer Geist werden. Er ist ein leiser Nerd, dessen Besserwisserei und ideologische Unbedingtheit ihn in die Nähe von Religionskriegern rücken. Auch das ist eine Stärke des Abends: Die Themen Volksherrschaft und Gesinnungstyrannei werden so tief durchdrungen, dass sie Assoziationsräume zum Deutschen Herbst oder zum Arabischen Frühling öffnen, ohne dick aufzutragen. 

Ständig ist ein Stahlkantenwürfel auf der Drehbühne in Bewegung, wird zum Kumpeltreff, Debattenort, Gerichtssaal. Plexiglasflächen trennen einen Raum der Einsamkeit, Ausweglosigkeit ab. Live-Videos verdoppeln das Geschehen. Das manipulierte Volk applaudiert wie eine Armee geistloser Aufziehpüppchen. Zu sehen sind ferner: Dieter Bach, Bernd Hölscher, Alina Rank, Anna-Maria Hirsch, Matthias Fuchs, Jürgen Wink und Marina Vysotzky. 

Am Ende realisiert Lucile, dass sich trotz der Hinrichtungen nichts ändern wird. Mit letzter Kraft will sie den Lauf der Geschichte anhalten und schreit bis zur Erschöpfung. Es bleibt Verzweiflung.