Helle Begeisterung im kleinen Emma-Theater der Städtischen Bühnen Osnabrück: Regisseur Gustav Rueb und sechs Schauspieler behielten Thomas Köcks geistreiches wie gallebitteres Geschichtslabor „Jenseits von Fukuyma“ souverän im Griff. Der junge, in Österreich geborene Autor hat dafür den ersten, mit 6000 Euro dotierten Osnabrücker Dramatikerpreis erhalten.
Von Christine Adam
Unseren Kulturkreis stellt Thomas Köck so intelligent wie amüsant auf den Prüfstand. Für sein Stück „Jenseits von Fukuyama , das nun im Osnabrücker Theater uraufgeführt wurde, erhielt er zu Recht den neuen Osnabrücker Dramatikerpreis.
„Hammer!“ möchte man mit der Figur Peer ausrufen über die Jury-Entscheidung für „Jenseits von Fukuyama“ – das Stück vom jungen Autor Thomas Köck. Das 2013 den mit 6000 Euro dotierten ersten Osnabrücker Dramatikerpreis erhielt und nun am Osnabrücker Theater uraufgeführt wurde. Würdiger kann das ungewöhnliche Engagement eines Theatervereins wohl nicht belohnt werden, als mit einem Schauspiel, dass derart mutig nach dem Ganzen greift. Nach den merkwürdigen (Fehl-)Entwicklungen fragt, die zu unserer momentanen Lebensweise geführt haben.
„Hammer!“, das muss aber auch über ein Regieteam und ein Schauspielensemble gesagt werden, die mit charismatischem und wohldosiertem Spiel für größtmögliche Verständlichkeit sorgen. Die das schwer Eingängige heiter und leicht machen. So vergnüglich kann also Theater eigene soziologische Feldforschung verpacken – was für ein Balanceakt!
Zuerst stülpen sich die Zuschauer weiße Strahlenschutzmäntel über, bevor es in den aseptisch weißen Bühnenraum des Emma-Theaters geht. Denn im Institut für Glücks- und Zukunftsforschung, in dem das Stück angesiedelt ist, wird überprüft, gedreht und gewendet, was für „unseren Kulturkreis“ wichtig war – und ist. Verdächtig klingen sie unter solchen Versuchsbedingungen schon, die Begriffe, die die sechs Schauspieler nun halb feierlich, halb skeptisch deklamieren: Freiheit, Geld, Karriere, Vorsorge, Angst oder Youtube. In einer gewaltigen und zugleich hoch komischen tour d’ horizon reflektieren sechs mit langen Rattenschwänzen ausgestattete Schauspieler den Wertewandel der letzten zwei Jahrzehnte.
Munter wird da erst einmal die Sinnsuche aus dem Labor verbannt, diese privatistische Fessel für ungehemmtes Wuchern der Ereignisse. Die hedonistischen, sinnbefreiten 90er Jahre treten personifiziert auf und schlagen auf die Geschichte ein, ein allerliebst um sich selbst kreiselndes Tanzfigürchen. Denn die Geschichte ist an den Neoliberalen, der Waffenlobby, den Massengräbern und noch viel mehr schuld. Vor allem am „ewigen Wiederkäuen der Utopielosigkeit“.
Doch die hoffnungsvollen Befreiungsschläge enden im Katzenjammer, weil nun statt nach der Utopie nach dem Glück, dieser schlimmen Seuche, gestrebt wird. James Olds Entdeckung des Belohnungssystems im menschlichen Hirn verhöhnt Thomas Köck lakonisch als übelsten Antriebshemmer für den Fortschritt des Weltgeists zum Besseren. Seinetwillen sitzen nun Institutschefin Frau Dr. Phekta und ihr aufstiegswütiger Assistent Peer im gesellschaftlichen „Durchschnittsraum“ mit Schrankwand, Plasmafernseher und „Wetten, dass..?“ und fürchten sich vor dem Ansturm der „enttäuschten Erwartungen“.
Möglicherweise ist es auch Enttäuschung, etwa über Francis Fukuyamas optimistische Thesen vom Ende der Geschichte (von 1992), die Thomas Köck so wunderbar zugespitzt und blumig zugleich formulieren lässt. Die von Ängsten, Sicherheitsdenken und Pseudokritik gespeiste Seele nennt er das „flauschige Vermächtnis des 20. Jahrhunderts für alle Zukunft“. Das sitzt.
Es sitzt aber auch so ziemlich alles, was sich Gustav Rueb (auch Bühne mit Niocole Zielke, die zudem die aussagestarken Kostüme entworfen hat) als szenische Veranschaulichung abstrakter Begriffe hat einfallen lassen. So kommt das Begehren, die üble jüngere Schwester des Glücksstrebens, als keckes Tutti-Frutti-Früchtchen aus der 90er-TV-Serie daher. Wie groß ist da doch der geschichtliche Abstieg zum heuchlerischen, der Wirklichkeit abgeschauten Büro-Smalltalk „auf Alprazolam“, den die Schauspieler mit genüsslichem Hohn imitieren. Denn gegen unsere Halb-Ohnmacht helfen nur noch Antidepressiva.Begeisterter Applaus für eine Produktion, die in den Bühnen-Spaß der Nuller Jahre den heiligen Ernst der 68er integriert – Chapeau.