Gustav Ruebs Inszenierungen im Norden
Die Suche nach dem Glück
Der Regisseur Gustav Rueb zeigt in Lübeck Brechts „Im Dickicht der Städte“ und in Osnabrück „Jenseits von Fukuyama“
von Hanna Klimke
LÜBECK taz | „Erwarten Sie keine Worte aus meinem Mund – ich habe nur Zähne darin.“ Es sind solche Sätze, für die man Brecht liebt. Dieser stammt aus dem selten gespielten Frühwerk „Im Dickicht der Städte“, das Gustav Rueb an nun an den Kammerspielen des Theaters Lübeck zur Premiere gebracht hat.
„Das Stück gilt als unaufführbar, zu lyrisch und zu verrätselt, und gleichzeitig als roh und unbehauen“, beschreibt der Regisseur seine Faszination für die Geschichte um den Vernichtungskampf zwischen dem zu Reichtum gekommenen malaiischen Holzhändler Shlink und George Garga, dem mittellosen Angestellten einer Leihbibliothek. „Es atmet den Geist des Chicago der 1910er- und 1920er-Jahre“, sagt Rueb. „Eine wilde Zeit, in der es gebrodelt hat: Abstiegsängste, Aufstiegshoffnungen, Zerfall von Gesellschaft, das alles wird bei Brecht verhandelt.“
Das, was unterschwellig rumort, ist in seiner Inszenierung wesentlich beängstigender als der Hass, das Elend und die Gewalt, die Rueb zurückhaltend, aber nicht minder deutlich auf die Bühne bringt: Shlink (Susanne Höhne), geheimnisvoll lächelnd wie die Mona Lisa, verschenkt ohne ersichtlichen Grund seinen Holzhandel an Garga und vernichtet gleichzeitig seine sozialen Beziehungen, doch auch der unbedarfte Garga entwickelt unmenschliche Züge. Gargas Geliebte Jane (Ingrid Noemi Stein) und seine pietistische Schwester Marie (Evamaria Salcher) landen in der Prostitution, Garga drei Jahre im Gefängnis. Überhaupt wird gesoffen, geprügelt, gehurt und aneinander verraten, bis nichts mehr geht.
„Der Mensch ist frei, Garga“, verkündet Shlink – ein pervertierter Existenzialismus, der erfrischend unpsychologisch daherkommt. „Shlink ist weder ein Mann noch eine Frau für mich, sondern eher ein mephistophelisches Wesen“, sagt Rueb. „Eigentlich ist er eine Figur, die mittellos vom Land kam, sich hochgearbeitet hat und sich irgendwann langweilt: Shlink sucht Fühlung und Bindungen – also genau das, was die anderen aufgeben, um sozial aufzusteigen.“
Rueb interessiert sich stark für politische Themen, die er atmosphärisch und lyrisch auf die Bühne bringt – ein interessantes Kontrasterlebnis. (...)